Unsere Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung spielt eine entscheidende Rolle in unserem täglichen Leben. Sie beeinflusst, wie wir uns selbst und unsere Fähigkeiten sehen, und kann sowohl unser persönliches als auch berufliches Leben stark prägen.
Zwei der bekanntesten psychologischen Phänomene, die unsere Selbstwahrnehmung betreffen, sind der Dunning-Kruger-Effekt und das Impostor-Syndrom. Während der eine Effekt zur Selbstüberschätzung führt, bewirkt der andere, dass wir unsere eigenen Erfolge und Fähigkeiten stark anzweifeln. In diesem Artikel werden wir beide Phänomene anhand meines Werdeganges als Softwareentwickler genauer betrachten.
Start in die Arbeitswelt
Kurz vor Abschluss meines Studiums habe ich angefangen, mich bei interessanten Unternehmen zu bewerben. Dafür habe ich mir Bewerbungsschreiben und einen Lebenslauf erstellt. In dem Lebenslauf wurden meine damals aktuellen Fähigkeiten aufgelistet. Jeden Skill habe ich versucht, mit eins bis fünf Sternen zu bewerten, ähnlich wie eine Produktbewertung. Und hier fängt nun meine Geschichte an.
Zu dem Zeitpunkt war ich schon im 9 Semester, die meisten Prüfungen und Labore sind erfolgreich bestanden und in den vorläufigen Notenspiegel eingetragen. Vor den ganzen Prüfungen und Laboren habe ich meistens in Gruppen gelernt oder am Projekt gearbeitet. Die Regelstudienzeit beträgt 7 Semester, d.h. ich war nicht der Schnellste bzw. Fleißigste. Durch die Arbeit mit anderen konnte ich die anderen zu einem gewissen Grad einschätzen und mich in Relation setzen. Nach gründlicher Überlegung habe ich mich also bei all meinen Fähigkeiten eingeordnet und im Lebenslauf mit den Sternen versehen. Habe ich versucht, mich selbst zu bewerten? Ja! Habe ich mich dabei eventuell überschätzt bzw. unterschätzt? Mit Sicherheit!
In meinem Fall habe ich mir z.B. bei meinem Java Skills 3 von 5 Sterne gegeben. Ich habe mich anhand meiner Kommilitonen gemessen und mich in die Mitte gesetzt, ich war durchschnittlich, so meine damalige Meinung. Als ich dann bei meinem ersten Arbeitgeber 2015 in ein Projekt kam und die ganzen Kollegen kennenlernte, platzte bei mir meine Blase. Ich bemerkte, welchen krassen Skill Gap ich zu den anderen hatte. Hätte ich damals mein Lebenslauf aktualisiert, würden da dann wahrscheinlich 0/5 Sternen stehen, so schlecht stand es um mich. Ich merkte, dass ich erst am Anfang stand und der Maßstab der Skala viel größer ist, als ich zu meiner Studienzeit angenommen hatte.
Ähnlich sieht es bei dem Dunning-Kruger-Effekt aus. Dieser beschreibt eine verzerrte Wahrnehmung, bei der Menschen mit geringen Fähigkeiten oder Kenntnissen dazu neigen, ihre eigenen Kompetenzen zu überschätzen. Diese Neigung entsteht aus der mangelnden Fähigkeit, das Nachdenken über das eigene Denken, objektiv einzuschätzen.
Lernen durch Erfahrung
Alles Meckern bringt nichts, nur durch Erfahrung kommt Erfahrung. Zu Anfang meiner Studienzeit habe ich zuerst Java und dann noch Android kennengelernt. Es hat mir so viel Freude bereitet, dass ich eine eigene kleine App entwickeln wollte. Diese trug den Namen Text Reverse. Damit habe ich vieles über Android gelernt und meine Kenntnisse in Java sowie XML unter Beweis gestellt. Gegen Ende des Studiums wollte ich die App weiter entwickeln und mein Lebenslauf damit etwas aufbessern. Dabei habe ich festgestellt, wie furchtbar schlecht die App entwickelt war, ich habe mich dafür geschämt, wie schlecht ich war. Gleichzeitig aber war ich stolz, wie sehr ich gewachsen bin und an Erfahrung gewonnen hatte. Zu Beginn meines ersten Jobs als Softwareentwickler sind neue Versionen Lollipop sowie Marshmallow erschienen, ich wollte up-to-date bleiben und entschied mich meine alte App wieder auf Vordermann zu bringen. Wer hätte es geahnt, ich erlebte dasselbe Gefühl von Scham und Stolz, wie zuvor.
Oft stellte ich mir dann die Frage, ob mein damaliges ich überhaupt etwas wusste, oder mein aktuelles ich immer noch nichts weiß aus der Sicht meines Zukunftsichs. Gleichzeitig kommt natürlich der Gedanke, ob andere mich auch so wahrnehmen, dass ich quasi immer noch nichts weiß und es kommt die Angst hoch, dass mich Außenstehende als einen Hochstapler entlarven. Dieser Gedanke ist vielen gar nicht fremd und sogar sehr oft vor, auch bei erfahrenen Entwicklern und Entwicklerinnen. Dieses Phänomen hat sogar einen Namen und nennt sich Hochstapler oder Imposter-Syndrom. Es ist nicht so, dass man ständig glaubt ein Hochstapler zu sein, aber zu gewissen Umständen scheint man an seine Fähigkeiten als zu schlecht einzustufen, oder dass die Ergebnisse der eigenen Arbeit durch Glück oder Zufall beeinflusst worden zu sein. Ich will diese Krankheit keinesfalls verharmlosen, denn es gibt viele Menschen, die deshalb zur Therapie gehen. Mir ging es lediglich darum zu zeigen, dass Menschen in gewissen Situationen temporär dieses irrationale Gefühl entwickeln können.
Stand heute
Und so bewege ich mich auch heute auf diesem schmalen Grat zwischen Imposter-Syndrom und dem Dunning-Kruger-Effekt. Mal bin ich der Über-Gott und freue mich wie ein Keks, wenn ein Programm funktioniert und im nächsten Augenblick verbringe ich erfolglos Stunden bei der Fehleranalyse und zweifle meine Fähigkeiten und meine Existenz als Softwareentwickler an. Ich habe viel Austausch mit Freunden und Kollegen, ich bin nicht alleine oder WIR sind damit nicht alleine, es ist normal und gehört zu unserem Alltag dazu. Wie seht ihr das, findet ihr euch auch oft in solchen Situationen wieder und wie verarbeitet ihr das Ganze? Lasst es mich wissen!
Quellen
[0] File:Dunning-kruger effect – percentile.svg – Wikimedia Commons
[1] Liste von Android-Versionen – Wikipedia