Agile Teams zwischen Performance und Motivation: Warum Autonomie entscheidend ist
Eine Retrospektive deckt auf, dass hohe Velocity keine echte Zufriedenheit garantiert – nachhaltige Motivation entsteht nur durch gelebte Autonomie und psychologische Sicherheit.

Klemens Morbe
Softwareentwickler
Veröffentlicht am
11. August 2025

Inhalt
Performance-Messung vs. echte Zufriedenheit
In agilen Teams, insbesondere in Scrum-Teams, messen wir Erfolg oft an messbaren Ergebnissen: Wie viele User Stories wurden abgeschlossen? Wie hoch ist die Velocity? Wie schnell liefern wir neue Features aus? Doch was passiert, wenn ein Team zwar auf dem Papier hervorragend performt, aber sich hinter der Fassade Frustration, Langeweile oder gar Gleichgültigkeit breitmacht? Genau diese Erfahrung habe ich kürzlich als Scrum Master gemacht – und sie hat mich nachhaltig zum Nachdenken gebracht.
In einer unserer Retrospektiven entschieden wir uns bewusst gegen die üblichen Themen wie technische Schulden, Tools oder Prozesse. Stattdessen stellten wir Fragen, die tiefer gingen und persönlicher waren:
- Was motiviert dich persönlich bei der Arbeit?
- Was motiviert dich im Team?
- Was demotiviert dich im Team?
- Bei welchen Themen reagierst du emotional?
- Welche Themen sind dir mittlerweile gleichgültig geworden?
Die Antworten waren überraschend offen und ehrlich. Besonders eine Aussage ließ uns alle aufhorchen:
"Was motiviert dich persönlich bei der Arbeit?"
– "Bald ist Feierabend oder Urlaub."
Diese Antwort traf uns wie ein Blitzschlag. Nicht, weil sie falsch oder unangebracht wäre – sondern weil sie uns plötzlich vor Augen führte, dass wir einen wichtigen Aspekt übersehen hatten: Wir hatten angenommen, dass ein performantes Team automatisch auch ein zufriedenes Team ist. Doch diese Annahme erwies sich als Trugschluss.
Der Mut zur Ehrlichkeit verdient Anerkennung
Bevor ich weiter auf die Hintergründe eingehe, möchte ich eines klarstellen: Die Person, die diese ehrliche Antwort gegeben hat, verdient unseren größten Respekt. Es erfordert enormen Mut und Vertrauen in das Team, solche Gefühle offen auszusprechen. Dass jemand sich traut, so etwas zu sagen, zeigt vor allem eines: Unser Team hat eine psychologische Sicherheit geschaffen, in der auch unangenehme Wahrheiten ausgesprochen werden können.
Gerade deshalb ist es wichtig zu betonen: Es geht hier nicht darum, einzelne Personen zu kritisieren oder Schuldige zu suchen. Im Gegenteil – es geht darum zu verstehen, was hinter solchen Aussagen steckt und welche tieferliegenden Ursachen wir gemeinsam angehen müssen.
Was steckt hinter der Demotivation?
Die Wissenschaft liefert uns wertvolle Erkenntnisse darüber, was Menschen intrinsisch motiviert – also von innen heraus antreibt. Eine zentrale Theorie hierzu ist die Selbstbestimmungstheorie (Self-Determination Theory) von Deci und Ryan. Diese Theorie besagt im Kern Folgendes:
Menschen haben drei grundlegende psychologische Bedürfnisse:
- Autonomie – das Bedürfnis nach Selbstbestimmung und eigenverantwortlichem Handeln.
- Kompetenz – das Gefühl von Wirksamkeit und Meisterschaft.
- Soziale Eingebundenheit – das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Wertschätzung innerhalb einer Gruppe.
Werden diese Bedürfnisse erfüllt, entsteht intrinsische Motivation: Man arbeitet aus Freude an der Tätigkeit selbst heraus. Werden sie jedoch verletzt oder ignoriert, entsteht Demotivation oder gar Gleichgültigkeit.
Autonomie als Schlüssel zur Motivation in Scrum Teams
Besonders das Bedürfnis nach Autonomie spielt in Scrum eine entscheidende Rolle. Scrum basiert darauf, dass Teams eigenständig entscheiden können:
- Wie sie ihre Arbeit erledigen,
- Wie sie Probleme lösen,
- Wie sie ihre Prozesse gestalten.
Doch genau hier liegt oft ein versteckter Widerspruch: Ein Team kann äußerlich autonom wirken (z.B. selbstorganisiert Stories bearbeiten), aber dennoch innerlich tief frustriert sein – etwa wenn Entscheidungen zwar formal beim Team liegen, aber ständig von außen beeinflusst werden oder wenn etablierte Abläufe regelmäßig durch spontane Meetings unterbrochen werden.
In unserem Fall zeigte sich genau dies: Das Team lieferte konstant gute Ergebnisse ab, fühlte sich aber gleichzeitig fremdbestimmt und nicht ausreichend ernst genommen in seinen Bedürfnissen nach Selbstbestimmung und Klarheit.
Die Folgen gebrochener Autonomie
Wenn Autonomie dauerhaft eingeschränkt wird – sei es durch unklare Prioritäten, ständige Unterbrechungen oder fehlende Wertschätzung der eigenen Beiträge –, entstehen negative emotionale Konsequenzen:
- Frustration darüber, dass eigene Ideen nicht gehört werden.
- Gleichgültigkeit, weil man gelernt hat, dass Engagement ohnehin nicht belohnt wird.
- Langeweile, da man keine Herausforderungen mehr sieht oder keine Chance erhält, sich einzubringen.
Dies führt langfristig dazu, dass Menschen ihre Motivation zunehmend außerhalb der Arbeit suchen ("endlich Feierabend") statt innerhalb ihrer Tätigkeit ("Flow-Erlebnisse").
Warum haben wir das nicht früher erkannt?
Es gibt einen simplen Grund dafür: Wir haben Performance mit Zufriedenheit verwechselt. Solange das Team lieferte und gute Ergebnisse erzielte, gingen wir automatisch davon aus, dass alles in Ordnung sei. Doch Performance allein sagt wenig über die emotionale Gesundheit eines Teams aus.
Was wir dabei übersehen haben: Menschen können auch unter Druck oder trotz Demotivation noch eine ganze Weile gute Ergebnisse liefern – allerdings auf Kosten ihrer langfristigen Zufriedenheit und Gesundheit.
Die Lösung? Nicht so einfach wie gedacht!
Natürlich stellt sich nun die entscheidende Frage: Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen? Wie schaffen wir es als Scrum Master und Führungskräfte sicherzustellen, dass Autonomie nicht nur theoretisch existiert, sondern tatsächlich gelebt wird?
Die Wahrheit ist leider komplexer als ein einfaches Rezept à la „Mach X und dein Team wird glücklich“. Jedes Team ist individuell verschieden; jedes Mitglied bringt eigene Bedürfnisse mit ein. Die Lösung muss daher individuell entwickelt werden – gemeinsam mit dem Team selbst.
Fazit: Performance ohne Autonomie ist nicht nachhaltig
Die Erfahrung aus unserer Retro hat mir deutlich gemacht: Ein performantes Scrum-Team bedeutet noch lange nicht automatisch ein zufriedenes Scrum-Team. Wenn wir langfristig erfolgreiche Teams wollen – Teams mit hoher intrinsischer Motivation –, dann müssen wir genauer hinschauen:
- Werden die Bedürfnisse nach Autonomie wirklich erfüllt?
- Können Menschen tatsächlich selbstbestimmt arbeiten?
- Oder erzeugen wir nur eine Illusion von Selbstorganisation?
Ich bin dankbar für den Mut unseres Teammitglieds. Dank dieser Offenheit konnten wir erkennen: Performance allein reicht nicht aus – nachhaltiger Erfolg braucht echte Autonomie.

Hier schreibt
Klemens Morbe
Als erfahrener Backend-Entwickler mit Schwerpunkt auf Java und Spring bin ich leidenschaftlich für Clean Code und effiziente Softwarearchitekturen.
Meine Expertise teile ich sehr gerne im Unternehmen sowie in Blogartikeln, die über theoretische Konzepte hinausgehen und realitätsnahe Lösungen für den Entwickleralltag bieten.
Durch meine Beiträge möchte ich nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch den fachlichen Austausch in der Community fördern und zur stetigen Verbesserung der Softwarequalität beitragen.
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