Digitales Leben

Mein erster Chaos Communication Congress: Eindrücke und Erfahrungen

Der Chaos Communication Congress (CCC) ist mehr als nur ein Treffen der internationalen Hackerszene in Deutschland. Es ist eine eigene Welt, ein Erlebnis, das sich schwer in Worte fassen lässt, wenn man selbst nicht dort war. Deshalb möchte ich keinen klassischen Reisebericht schreiben, der Tag für Tag beschreibt, was ich erlebt habe. Stattdessen möchte ich über die Menschen sprechen, über das, was sie geschaffen haben, und die einzigartige Atmosphäre, die mich nachhaltig beeindruckt hat.

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Das Setting: Ein Open-World-Computerspiel

Stell dir ein Online-Open-World-Spiel vor. Ein Spiel, in dem es darum geht, Neues zu entdecken, Wissen zu teilen und anderen zu helfen. Es gibt keine festen Regeln, keine vorgezeichneten Pfade. Stattdessen entscheidest du selbst, wohin du gehst, was du erfährst und wie du dich in dieser dynamischen, ständig überraschenden Welt wiederfindest.

Der Chaos Communication Congress setzt dieses Spiel in die Realität um. Jeder Raum, jeder Flur ist voller Überraschungen. Menschen sitzen in kleinen Gruppen, löten, bauen, diskutieren oder hacken an ihren Laptops, vertieft in Projekte, die sofort Neugier wecken. Du spürst, dass hier überall etwas entsteht – Ideen, Technik, Kunst – manchmal auf den ersten Blick nicht greifbar, doch immer voller Kreativität.

Du läufst an einem Tisch vorbei, an dem ein Plotter kunstvoll Linien zieht – zunächst wirkt es wie technische Präzision in Reinform, bis sich langsam eine Rickroll-Animation vor deinen Augen entfaltet. Es ist mehr als nur ein Scherz; es ist ein Augenzwinkern in die digitale Popkultur, das perfekt den spielerischen Geist des Congress einfängt. Dieser Moment, der dich unerwartet zum Schmunzeln bringt, ist typisch für die Atmosphäre: Technik als Kunstform, voller Humor und einem Hauch von Überraschung.

Doch wie in einem Online-Open-World-Spiel gibt es hier keine Pausetaste, um die Welt für einen Moment stillzulegen und durchzuatmen. Alles passiert gleichzeitig, alles ist in Bewegung.

In einem Saal läuft der Vortrag „Volksdaten von Volkswagen“, der eine Sicherheitslücke offenlegt, durch die Bewegungsdaten von 800.000 E-Autos einsehbar waren. Sichtbar wurde, wer wann wo parkt – von Ministerien bis zum BND. Der Talk wirft kritische Fragen zu Datenschutz und Verantwortung auf.
In einem anderen Vortrag erzählt ein IT-Admin von seiner Rolle in einem Aluminium-Schmelzwerk. Der Vortrag beleuchtet humorvoll und zugleich kritisch die Herausforderungen, die die deutsche Industrie bei der Digitalisierung erlebt.

Ein Stockwerk tiefer begegnen dir Kunstinstallationen, die sich kritisch mit der Verbindung von Technologie und Gesellschaft auseinandersetzen. Besonders in Erinnerung bleibt eine Installation, bei der zwei Überwachungskameras einander beobachten – ein stummer Dialog, der die Überwachungskultur unserer Zeit treffend auf den Punkt bringt.

Nicht weit davon entfernt steht eine Installation, die wie ein Spiegel unserer Zeit wirkt: Teleshopping trifft soziale Medien. Mit einem Handscanner lassen sich Artikel einlesen, woraufhin Videos erscheinen, in denen Influencer mit übertriebenen Gesten und KI-generierten Stimmen banale Produkte anpreisen. Die Installation lädt dazu ein, über die Absurdität der modernen Konsumwelt nachzudenken. Was einst langweilig war, wird durch soziale Medien neu verpackt – doch bleibt es nicht dasselbe? Eine Show, die unsere Aufmerksamkeit bindet, ohne einen wirklichen Mehrwert zu schaffen.

Es ist, als ob du mitten in einer lebendigen, pulsierenden Welt stehst, die keinen Stillstand kennt. Du kannst nicht alles sehen, nicht alles hören, und genau das macht den Reiz aus. Jede Entscheidung, wo du verweilst, bedeutet gleichzeitig, dass du etwas anderes verpasst – doch das Gefühl, dass überall um dich herum etwas Einzigartiges geschieht, tut deiner Neugier keinen Abbruch und treibt dich weiter, gespannt auf das, was als Nächstes kommt.

Aufbau und Struktur: Chaotisch kreativ, perfekt organisiert

Doch wie kann eine solche Welt überhaupt existieren, ohne im Chaos zu versinken? Die Antwort liegt in der Struktur, die hinter all dem steckt. Der Chaos Communication Congress ist wie ein Ameisenhaufen: Von außen wirkt alles chaotisch – ein scheinbar unkoordiniertes Gewusel. Doch sobald du genauer hinsiehst, erkennst du die feinen Mechanismen, die das Ganze zusammenhalten.

Alles, was man sieht – die Bühnen, die Assemblies, die Lounges, selbst die Lichtinstallationen und Bars – wurde von Freiwilligen aufgebaut. Es gibt keine professionelle Eventagentur, die das alles vorbereitet hat. Stattdessen arbeiten unzählige Menschen zusammen, vor und nach Weihnachten, und manche sogar während der Feiertage.

Diese Helfer werden liebevoll Engel genannt und sind das Herzstück der Organisation. Ohne sie wäre der Congress nicht denkbar. Sie wuseln überall herum, sorgen dafür, dass Vorträge reibungslos ablaufen, die Infrastruktur funktioniert, und Besucher sich zurechtfinden.

Koordiniert wird all das vom Himmel – der zentralen Anlaufstelle für die Engel. Der Himmel ist wie die Steuerzentrale eines riesigen Organismus. Hier werden Schichten geplant, Aufgaben verteilt und spontane Probleme gelöst. Ob jemand für den Einlass fehlt, ein technisches Gerät streikt oder Unterstützung in der Engelschnellküche benötigt wird – der Himmel weiß Bescheid und sorgt dafür, dass immer jemand zur Stelle ist.

Engel zu sein, ist mehr als nur Arbeit – es ist ein Teil der Congress-Kultur. Man gibt etwas zurück und wird dabei Teil dessen, was man selbst erlebt hat – eine Atmosphäre, die für andere fühlbar wird. Hilfsbereitschaft inspiriert dazu, selbst zu helfen, und das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein, ist unbezahlbar.

Die Bezahlung in Form von Sinnhaftigkeit stimmt einen ein aber von Luft und Liebe kann man alleinig nicht leben. Entsprechend wird jede Schicht mit einer Mahlzeit in der Engelschnellküche zusätzlich entlohnt. Das Essen dort ist nicht nur schnell, sondern auch lecker – fast, als wäre es direkt aus dem Himmel geliefert worden. 😉

Und sogar Besucher werden in die Gestaltung miteingebunden. Säulen, die mit Memes und Stickern beklebt sind, wachsen zu lebendigen Kunstwerken heran. An Assemblies tauchen Sticker auf, die auf neue Notebooks warten, und sogar der „Shittr“ – humorvolle Notizzettel in Toilettenkabinen – wird zu einer Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu treten.

Diese Symbiose aus Chaos und Ordnung, Kreativität und Präzision macht den Congress zu einem einzigartigen Erlebnis. Es fühlt sich nichts steril oder standardisiert an. Alles hat Persönlichkeit, ist individuell gestaltet und voller Herzblut.

Vorträge

Der Congress ist für mich untrennbar mit diesen Vorträgen verbunden. Sie sind oft der erste Kontaktpunkt für viele, die den CCC kennenlernen, und genau so ging es mir. Lange bevor ich selbst dabei war, verfolgte ich die Talks online und war fasziniert von der Vielfalt der Themen, der Tiefe des Wissens und der Begeisterung der Vortragenden. Vom technisch Versierten bis hin zu gesellschaftlich Bewegendem – die Vorträge des Chaos Communication Congress sind für mich seit jeher das Herzstück dieser Veranstaltung.

Wenn man sich mit anderen Besuchern unterhält, hört man oft den Ratschlag: „Geh‘ nicht in die Vorträge, die kannst du später nachschauen.“ Das stimmt, und dennoch fühlt es sich live anders an. Es ist nicht nur der Inhalt, der zählt, sondern die Atmosphäre: Du spürst die Energie, siehst die Reaktionen im Raum, hörst das Lachen oder die Momente des stillen Nachdenkens. Es ist diese kollektive Erfahrung, die Vorträge auf dem Congress zu mehr macht als nur einem Wissensaustausch – sie sind Inspiration, Diskussion und Gemeinschaft in einem. Dabei entsteht ein Gefühl, Teil eines Augenblicks zu sein, der sich nicht vollständig ins Digitale übertragen lässt.

Was bleibt

Der Chaos Communication Congress hat mir gezeigt, was möglich ist, wenn Menschen mit Leidenschaft, Kreativität und Neugier zusammenkommen. Es ist ein Ort, der Mut macht, Neues zu wagen, sich selbst auszuprobieren und die unglaubliche Energie zu erleben, die entsteht, wenn viele Menschen gemeinsam an einer Vision arbeiten. Wissen wird hier als ein Geschenk verstanden, das größer wird, je mehr Menschen daran teilhaben. Der Congress ist kein Ort, den man einfach besucht – er ist ein Erlebnis, das inspiriert und lange nachklingt.

Es gibt noch so viele Vorträge zum Nachschauen, so viele Ideen, die erst jetzt nach und nach in Gedanken ihren Platz finden. Für alle, die Technologie, Kunst, Gesellschaft und den Austausch von Wissen lieben, kann ich den Congress nur empfehlen.

Man sieht sich auf dem 39C3…

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